Tempo 30 in Köln - ein Resümee mehrerer Bürger*innenklagen
Seit 2018 gab es mehrere Klagen gegen die Stadt Köln zur punktuellen Einführung von Tempo 30 - ein Rückblick
Im Jahr 2017 stieß ich "in meiner Bubble" auf Manuel, der Interessierte suchte, die sich an Klagen gegen die Stadt Köln beteiligen wollten. Der Ansatz war die Einführung von Tempo 30-Bereichen aufgrund von Lärmschutz im jeweiligen Wohnbereich der Klagenden. Die Federführung (und auch die finanziellen Kosten) des ganzen Prozederes würde er übermnehmen. Da dachte ich mir, warum nicht?
Vor ein paar Tagen hat Manuel mir ein kleines Resümee zukommen lassen, welches ich hier mit seiner Zustimmung veröffentliche:
Rechtsanwalt Wolfram Sedlak, welcher die Verfahren betreut, hat im Rahmen der RADKOMM 2016 ein Hintergrundpapier geschrieben, in dem die rechtlichen Möglichkeiten zur Anordnung von Tempo 30 als fahrradfördernde Maßnahme ausführlich beschrieben sind.
Grundsätzlich gibt meinem Verständnis nach derzeit zwei Möglichkeiten bzgl. Lärm:
1) Antrag als betroffene:r Anwohner:in einer lauten Straße (+ Klage in der Praxis) nach § 45 StVo, oder
2) flächendeckend Tempo 30 durch Fortschreibung des Lärmaktionsplans, entsprechende politische Mehrheiten vorausgesetzt. Hierzu kann Wolfram bei Bedarf sicherlich gerne beraten.
(Es gibt aber wohl auch noch weitere rechtliche Möglichkeiten, vor allem im Umfeld von Schulen/Kitas für betroffene Eltern - unabhängig von Lärm.)
Ich habe seit 2018 ein Dutzend Verfahren nach 1) (vor)finanziert. An ein einigen Stellen gilt mittlerweile Tempo 30, an einigen sind die Verfahren noch beim Verwaltungsgericht Köln anhängig. Da die Details doch recht komplex sind und die städtischen Behörden sich ziemlich winden (in den mir bekannten Fällen ist z.B. immer nur nach einer Untätigkeitsklage überhaupt etwas passiert), macht ein solcher Antrag in meinen Augen ohne einen Anwalt leider keinen Sinn.
In der Praxis bedeutet das für den Ablauf letztlich:
Als betroffene:r Anwohner:in bevollmächtigt man einen Anwalt. Anhand der Lärmkartierung lassen sich die Erfolgsaussichten vorher gut abschätzen. In den Verfahren selbst wird das dann allerdings nochmals wesentlich genauer berechnet, es kann also zu Abweichungen kommen. Als Kosten fallen Anwaltsgebühren + ggfs. Gerichtskosten an. Im Erfolgsfall werden diese dann teilweise wieder erstattet. Rechtsschutzversicherungen, falls vorhanden, übernehmen teilweise Kosten/Risiko.
Was ich gemacht habe, ist lediglich die Kölner "Fälle" zu sammeln und das Kosten/Risiko für alle zu übernehmen. Durch die Bündelung sind Aufwand/Kosten für den Anwalt zumindest am Anfang der Verfahren entsprechend geringer.
Im Detail:
- Der Anwalt beantragt dann "Verkehrsbeschränkende Maßnahmen" (nicht speziell Tempo 30) nach § 45 StVo wegen Lärm. Tempo 30 ist eine bekannte Maßnahme um den Verkehrslärm effektiv zu reduzieren, die quasi überall möglich ist. Wird dies nicht hinreichend geprüft und abgewogen, liegt ein Ermessensfehler der Behörde vor. Als Antragsteller:in hat man allerdings das Recht auf eine ermessensfehlerfreie Prüfung. Gegen einen negativen Bescheid der Behörde man dann also rechtlich vorgehen. Bei sehr lauten Straßen, kann sogar eine "Ermessensreduzierung auf null" vorliegen, die Behörde muss also praktisch Tempo 30 anordnen.
- Nach 3 Monaten ohne Antwort/Bescheid kann eine Untätigkeitsklage erhoben werden - in der Praxis kann sich das allerdings etwas in die Länge ziehen. Bei allen mir bekannten Fällen war eine Untätigkeitsklage nötig. Evtl. "lernt" die Behörde künftig aber auch und ordnet schneller direkt Tempo 30 an. Durch die restriktive Haltung verliert sie letztlich sämtliche ähnliche Verfahren und generiert damit unnötige Prozess-/Gerichtskosten.
Die Idee war es, letztlich ein paar Urteile des VG Köln für Tempo 30-Abschnitte zu erwirken, so dass weitere Anwohner:innen zu eigenen Anträgen ermutigt werden. Wenn man sich die Lärmkarte anschaut ist schnell klar, dass sich quasi überall Tempo 30 durchsetzen ließe. Wenn das genügend Leute machen wird der Druck für 2) eventuell hoch genug - das wäre auch für die Stadt letztlich bessere Weg.
Bzgl. der Finanzierung einzelner weiterer Verfahren bin ich erstmal raus, die bisherigen Verfahren zeigen bereits, dass das Vorgehen in der Praxis funktioniert. Im Rahmen einer etwas größer angelegten Aktion könnte ich mir das allerdings durchaus vorstellen. Falls es z.B. gelänge Anwohner:innen alle 200m entlang der Rheinuferstraße, Universitätsstraße o.Ä. zu gewinnen und mit entsprechender Pressearbeit zu begleiten, würde ich die/das Kosten/Risiko der Verfahren nochmals übernehmen ;-)
Von der Kostenstruktur her entstehen erstmal "nur" das Anwaltshonorar für das Einreichen der Anträge. Wenn mehrere Anträge gesammelt bearbeitet werden, ist das überschaubar. Erst wenn es dann vor Gericht geht, fallen Gerichtskosten pro Antrag an. Zu diesem Zeitpunkt sind die Erfolgsaussichten dann allerdings auch bereits recht gut absehbar.
Das Urteil:
Wir haben alle Verfahren gewonnen! Die Stadt Köln hat eine schallende Ohrfeige für Ihr bisheriges rechtliches Verhalten zu den Anträgen auf verkehrsbeschränkende Maßnahmen erhalten. Die Urteilsgründe sind außergewöhnlich gut geraten.
Die behaupteten wesentlich höheren Richtwerte der Lärmschutz-RL – StV 2007 wurden genau, wie vom Anwalt dargelegt, vom VG als nicht verbindlich gewertet. Maßstäbe sind vielmehr die Orientierungswerte der 16. BImSchV. „Die Immissionsgrenzwerte der 16. BImSchV lassen dabei ganz allgemein erkennen, von welcher Schwelle an eine nicht mehr hinzunehmende Beeinträchtigung der jeweiligen Gebietsfunktion, zumindest auch dem Wohnen zu dienen, anzunehmen ist.“ Diese Rechtsprechung gibt es zwar schon seit den 90-iger Jahren, wurde aber von der Stadt Köln ignoriert. Jetzt ist es endlich für alle Zeiten auch in Köln zu beachten. Die hohen, von uns dokumentierten Überschreitungen wurden allesamt bestätigt und selbst für den Fall der Anwendung der neuen Berechnungsrichtlinie RLS19 lediglich mit 1 dB(A) Minderung dargestellt.
Exemplarisch einige wichtige Passagen:
„Die Beklagte läßt sich von zweckfremden Erwägungen leiten, verkennt den maßgeblichen Prüfungsmaßstab und erfaßt die Interessen des Klägers nicht hinreichend.“
„Weder in ihren beiden Bescheiden noch im sonstigen Schriftwechsel geht sie auf den Grad der Lärmbelastung und der damit verbundenen Nachteile für den Kläger, etwa in Form von Gesundheitsrisiken, ein.“
„Die Beklagte hat allerdings nicht hinreichend plausibel dargelegt, dass es durch die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h zu einer Einschränkung der funktionsgerechten Nutzung der B 55 oder B 51 kommen könnte.“ …… „Insbesondere ist die Beklagte auf den Einwand des Klägers nicht eingegangen, bei Anpassung der betroffenen Ampelschaltungen auf eine reduzierte Geschwindigkeit der Fahrzeuge ergäben sich nicht zwingend Rückstauungen.“
„Die Ablehnungsbegründung verkehrsbeschränkender Maßnahmen in Bezug auf die Mommsenstraße zwischen Hermeskeiler Straße und dem Beginn der temporeduzierten Zone vor der Schule ist nicht nachvollziehbar und in sich unplausibel. Zwar führt die Beklagte aus, die Mommsenstraße über seit Jahrzehnten die Funktion einer wichtigen Verbindungsachse im Stadtgebiet aus. Nicht ausreichend und nicht belegt ist die Behauptung, eine Herabsetzung der derzeit zulässigen Höchstgeschwindigkeit führe zu einer Verdrängung des Verkehrs auf kleinere Straßen im Viertel und belaste dortige Anwohner zusätzlich. Insofern fehlt es an einer nachvollziehbaren, an belastbaren Tatsachen anknüpfenden Prognose, die sich etwa mit einer durch die Geschwindigkeitsherabsetzung eintretenden Verkehrsbelastung und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Leichtigkeit des Verkehrs befasst. Insbesondere hat sich die Beklagte nicht mit dem vom Kläger in diesem Zusammenhang geltend gemachten Einwand auseinander gesetzt, dass mit einer Verlagerung des Verkehrs auf Nebenstraßen nicht zu rechnen ist,da in diesen bereits Tempo 30 gelte.“ Und zitiert dann noch die von unserem Anwalt angeführte UBA-Studie hierzu wörtlich.
Die Urteile machen Mut für weitere Schritte (evtl. neue Straßen bzw. weitere Straßenabschnitte).
P.S.: Selbst das Kölner Verwaltungsgericht gab zum Thema eine eigene Pressemitteilung raus.
Wir sagen DANKE...
...an Manuel, dass er diesen Weg federführend initiiert hat.
Folgend stelle ich euch noch meine Dokumente zur Verfügung, welche ich in den letzten Jahren erhalten habe sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts:
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